Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden
„Wir denken in Chancen. Die OMV investiert in Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Projekte.“
Ein Gespräch mit Alfred Stern, Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der OMV
In einem Satz: Wie war das Jahr 2023 für die OMV, Herr Stern?
Wir haben das zweitbeste Ergebnis der Unternehmensgeschichte erreicht.
Wie haben Sie das geschafft?
Unsere Strategie 2030 greift. Alle drei Geschäftsbereiche haben 2023 zum positiven Ergebnis beigetragen. Vor allem Energy hat sehr profitabel gewirtschaftet – und dies trotz rückläufiger Energiepreise. Fuels & Feedstock hat sich ebenfalls gut geschlagen. Bei Chemicals & Materials haben wir den Konjunkturabschwung und Überkapazitäten im Markt gespürt.
2023 war abermals ein Jahr der geopolitischen Spannungen. Wie gehen Sie damit als Vorstandvorsitzender um?
Ich wünsche mir vor allem, dass die Kriege in der Welt beendet werden. Viele Menschen leiden darunter. Das geht mir nahe und berührt mich. Im Berufsleben versuche ich aber Emotionen möglichst auszublenden. Ich konzentriere mich auf das, was in meinem Einflussbereich liegt. Auf Dinge, die wir mit der OMV selbst gestalten können.
Was heißt das konkret für das Geschäft der OMV?
Eine positive Einstellung ist wichtig. Wir denken in Chancen. Das Umfeld ist herausfordernd. Aber in jeder Krise gibt es immer auch unternehmerische Gelegenheiten. Bei der OMV konzentrieren wir uns auf beides. Auf die Krisenbewältigung, die uns im vergangenen Jahr stark gefordert hat. Gleichzeitig haben wir den Aufbau unserer zukunftsträchtigen Geschäftsfelder fest im Blick. Wir verschieben unsere Investitionen hin zur Kreislaufwirtschaft und zu nachhaltigen Projekten.
Wo setzen Sie die Schwerpunkte bei dieser Transformation der OMV?
Für nachhaltige Technologien und Lösungen stellen wir pro Jahr durchschnittlich rund 40 Prozent unseres globalen Investitionsbudgets bereit. Auch 2023 haben wir innovative Projekte auf den Weg gebracht. Etwa unser Joint Venture „deeep“. Damit versorgen wir in wenigen Jahren bis zu 200.000 Haushalte in Wien mit klimaneutraler geothermischer Fernwärme. Ein weiteres Beispiel ist Sustainable Aviation Fuel, auch SAF genannt. Diese nachhaltigen Flugkraftstoffe aus Altspeiseöl tragen im Flugverkehr zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen um mehr als 80 Prozent im Vergleich zu konventionellem Kerosin bei.
Wie viel Wachstum erwarten Sie bei den nachhaltigen Kraftstoffen?
Klar ist: Der Bedarf an umweltfreundlicher Mobilität steigt. Wir gehen davon aus, dass sich die Nachfrage nach nachhaltigen Kraftstoffen in den nächsten 20 Jahren verdreifachen wird. Bis 2030 wollen wir die Produktion nachhaltiger Kraftstoffe und chemischer Rohstoffe auf bis zu 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr steigern. Ein signifikanter Anteil daran wird auf SAF entfallen. Das Interesse der Industrie ist groß: Im vergangenen Jahr haben wir weitere SAF-Abnahmevereinbarungen mit renommierten Fluggesellschaften wie Ryanair und Air France-KLM abgeschlossen. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Wir dekarbonisieren auch den Personenverkehr.
»Der zukünftige Erfolg eines Unternehmens wird von seiner Fähigkeit abhängen, Nachhaltigkeit als Innovations- und Wachstumsmotor zu nutzen. Dafür ist die OMV hervorragend aufgestellt.«
ALFRED STERN,
Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der OMV
Viele Autofahrer:innen kennen die OMV Tankstellen...
An diese Kund:innen denken wir. Für sie haben wir 2023 „OMV eMotion“ auf den Weg gebracht. Unter dieser Marke bauen wir ein flächendeckendes Netz von Hochleistungs-Ladestationen für Elektrofahrzeuge auf. Bis 2030 stellen wir unseren Kund:innen insgesamt 2.000 neue Ladepunkte im europäischen Vertriebsnetz der OMV zur Verfügung. Sie können dann grünen Strom an OMV Tankstellen und anderen Standorten in Österreich, Rumänien, der Slowakei und Ungarn tanken.
Sie erwähnten die Kreislaufwirtschaft. Was versteht die OMV darunter?
Unsere Lösungen für die Kreislaufwirtschaft sind von einem Grundgedanken geprägt: Wir wandeln Abfälle in wertvolle Rohstoffe um. Zum Beispiel mit der größten Sortieranlage für gemischte Kunststoffabfälle in Europa. Sie soll 2026 in Walldürn in Deutschland in Betrieb gehen. Die Anlage ermöglicht die Verarbeitung von Altkunststoffen, die sonst auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen landen würden. Dieses Material kann mit unserer patentierten ReOil®-Technologie für chemisches Recycling in wertvolle Sekundärrohstoffe umgewandelt werden. Die ReOil®-Anlage entsteht momentan in unserer Raffinerie in Schwechat und soll in diesem Jahr hochfahren. Sie sehen: Unser Ansatz schafft einen echten Kreislauf, der CO2-Emissionen senken wird.
Gleichzeitig ist die OMV weiter im fossilen Energiegeschäft tätig. Wie passt das zu Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie?
Zur nachhaltigen Energiewende gehört eine ordentliche Prise Realismus. Der Wechsel zu den Erneuerbaren wird nicht von heute auf morgen stattfinden. Erdgas ist dabei eine wichtige Brückentechnologie. Wir gehen davon aus, dass die Marktnachfrage in den nächsten 20 Jahren bestehen bleibt. Deshalb müssen wir kurz- und mittelfristige Ziele verantwortungsvoll ausbalancieren. Unser Ansatz ist die schrittweise Ablösung fossiler Energieträger. Bis es so weit ist, bleibt die OMV ein verlässlicher Lieferant. Eine eigene Energieherstellung in Europa ist der beste Beitrag zur Versorgungssicherheit. Dazu wollen wir beispielsweise mit unserem „Neptun Deep“-Projekt beitragen.
Sie meinen die Bohrungen im Schwarzen Meer in Rumänien?
Genau. Die OMV Petrom und Romgaz investieren dort gemeinsam bis zu 4 Milliarden Euro. Perspektivisch könnten etwa 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert werden. Im vergangenen Jahr haben wir große Fortschritte gemacht: Inzwischen sind mehr als 80 Prozent der Ausführungsverträge vergeben. Zum Zug gekommen sind renommierte internationale Auftragnehmer und Lieferanten. Sie alle verfügen über die notwendigen Fähigkeiten und Erfahrungen, um dieses komplexe Projekt zu realisieren. Der Bohrbeginn ist für 2025 vorgesehen. Die erste Produktion erwarten wir für 2027. Durch Neptun Deep wird Rumänien dann zum größten Erdgasproduzenten in der EU.
Die OMV erhält nach wie vor russisches Gas. Warum verzichten Sie nicht darauf?
Grundsätzlich gilt: Wir investieren nicht mehr in Russland und haben das Geschäft wertberichtigt und entkonsolidiert. Russland ist für OMV keine Kernregion mehr. Gleichzeitig handelt die OMV jederzeit sanktions- und rechtskonform. Sanktionskonform, weil unsere Gaslieferungen aus Russland nicht von Sanktionen betroffen sind. Rechtskonform, weil unsere gültigen Gaslieferverträge Take-or-Pay-Verpflichtungen beinhalten, die die OMV nicht unbegründet ignorieren kann. In dieser komplexen Lage haben wir 2023 große Fortschritte bei der Diversifizierung der Energiequellen gemacht.
Auf welche alternativen Gasquellen setzt die OMV?
Wir fahren mehrgleisig. Zum einen greift die OMV auf ihre eigene Gasproduktion in Norwegen und Österreich sowie auf Gasmengen von Drittproduzenten in Norwegen und Italien zu. Zudem haben wir zusätzliche Pipeline-Kapazitäten gebucht, durch die wir bei Bedarf Zugriff auf unsere nicht russischen Gasquellen und die liquiden Handelsmärkte haben. Unser Ziel haben wir erreicht: Die OMV kann ihre Kunden mit Gas beliefern, selbst wenn russische Lieferungen ausfallen.
Zu einer Rückschau gehört der Blick nach vorne. Wie sehen Sie die Zukunft der OMV?
Ich bin optimistisch für die kommenden Jahre. Der Erfolg eines Unternehmens wird von seiner Fähigkeit abhängen, Nachhaltigkeit als Innovations- und Wachstumsmotor zu nutzen. Und dafür ist die OMV mit ihrer Strategie 2030 und den 20.600 hoch qualifizierten Mitarbeiter:innen hervorragend aufgestellt.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stern.
Wien, am 7. März 2024
Alfred Stern e.h.