Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden
„Erfolge sind wichtig. Was zählt, ist aber die Zukunft.“
Ein Gespräch mit Alfred Stern, Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der OMV
Herr Stern, was kommt Ihnen zuerst in den Sinn, wenn Sie an das Jahr 2022 denken?
Zuerst teile ich unser aller Fassungslosigkeit über Russlands Angriff auf die Ukraine. Ich sehe das Leid vor mir, das daraus jeden Tag entsteht. Und ich denke auch daran, wie schnell wir als OMV im Februar 2022 auf diese völlig neue Situation reagiert und die vielfältigen Folgen bewältigt haben. Dank Mitarbeiter:innen, die aus der noch immer bestehenden Belastung durch Corona direkt in die nächste außerordentliche Herausforderung gehen mussten. Das verdient größte Hochachtung. Bei alledem vergesse ich aber nicht die völlige Neuausrichtung und Transformation unseres Unternehmens. Wir haben diesen Weg im schwierigen Umfeld des vergangenen Jahres begonnen und gehen ihn seither konsequent.
Waren die Schritte betreffend Russland sofort klar?
Für uns gab es keine Alternative zu einer umgehenden, sanktionskonformen Neubewertung unseres gesamten Russlandgeschäfts. Wir haben Russland den Status einer Kernregionen entzogen und beschlossen, dort keine Investitionen mehr vorzunehmen. Darüber hinaus haben wir Wertanpassungen unserer Russlandaktivitäten vorgenommen und eine strategische Prüfung unserer Beteiligung an einem Erdgasfeld eingeleitet. Wir ziehen hier alle Optionen in Betracht, auch die eines Verkaufs oder eines Ausstiegs. Wir sehen aber auch, dass das im derzeitigen rechtlichen Umfeld ein äußerst schwieriges Unterfangen ist. Zugleich haben wir uns aber auch auf die Versorgung unserer Kund:innen konzentriert und diese sichergestellt. Das ist uns durch alternative Bezugsquellen, die Sicherung von Transportkapazitäten und eine konsequente Speicherstrategie gelungen. Unsere eigens dafür eingerichtete Gas-Taskforce leistete und leistet dafür bis heute erstklassige Arbeit.
Die strategische Neuausrichtung der OMV wurde durch den Kriegsausbruch beinahe überschattet. Wurde sie auch von den Ereignissen überholt?
Keineswegs. Natürlich mussten wir taktische Anpassungen vornehmen, aber die Strategie wurde in all ihren Eckpfeilern bestätigt. Infolge des Krieges wurde deutlicher denn je, dass die Welt ihre Energieversorgung auf neue Beine stellen muss. Mit Blick auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit müssen wir unseren Ressourcenverbrauch reduzieren, fossile Rohstoffe durch alternative ersetzen und schnelle Wege in die Kreislaufwirtschaft finden. Wie das funktionieren kann, ist in unserer Strategie beschrieben, an deren Umsetzung wir mit Hochdruck arbeiten.
Sie haben mit der Entwicklung der Strategie 2030 auch den Daseinszweck der OMV neu definiert.
Wir haben einen grundlegend neuen Weg gewählt, künftige globale Entwicklungen analysiert und uns die Frage gestellt, wozu es die OMV in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren geben soll. Das Ergebnis ist in unserem Purpose „Re-inventing essentials for sustainable living“ zusammengefasst: Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Lösungen zu entwickeln, wie man mit dem geringstmöglichen ökologischen Fußabdruck nicht nur unsere Lebensqualität sichern, sondern eine noch größere Anzahl von Menschen an diesem Wohlstand teilhaben lassen kann. Ausgehend von diesem Anspruch haben wir beginnend mit 2023 auch unsere Konzernstruktur entsprechend neu aufgestellt und die strategische Neuausrichtung der OMV in allen drei Geschäftsbereichen festgelegt: den schrittweisen Ersatz der fossilen Energiequellen durch ein nachhaltiges Business im künftigen Geschäftsbereich Energy; das Ziel, im „Fuels & Feedstock“-Geschäft als eine führende Anbieterin nachhaltiger Kraftstoffe und chemischer Rohstoffe zu einer klimaverträglichen Mobilität und Materialwirtschaft beizutragen; und im „Chemicals & Materials“-Business sowohl zu einer weltweit führenden Anbieterin von Polyolefin-Speziallösungen als auch zu einem führenden Unternehmen im Bereich Kreislaufwirtschaft zu werden.
»Die Bedeutung von Energieversorgungsunternehmen hat eine völlig neue Dimension erreicht. Unsere Branche ist einer der zentralen Hebel für eine erfolgreiche Klimawende.«
ALFRED STERN
Vorstandsvorsitzender
Es gibt auch kritische Stimmen. Wie überzeugen Sie diese von der Verlässlichkeit Ihrer Strategie?
Aus unserer Sicht gibt es für die OMV keinen sinnvolleren Weg in eine nachhaltige Zukunft. Der Geschäftsbereich Energy beweist seine Bedeutung als finanzieller Motor unserer Transformation. Die nachhaltige Ausrichtung von Fuels & Feedstock nimmt Gestalt an. Dasselbe gilt für Chemicals & Materials. Wir haben die Strategie 2030 vor gerade einmal einem Jahr präsentiert. Operativ haben wir zwei vielversprechende Geothermieprojekte in Österreich und Deutschland gestartet und vor kurzem haben wir eine Vereinbarung zur Gründung eines Joint Ventures für die Planung und Erschließung des geothermischen Potenzials im Wiener Becken getroffen. Wir konnten erste Erfolge im Bereich nachhaltiger Flugkraftstoffe feiern, nehmen dieses Jahr in Schwechat unsere ReOil®-2000-Anlage mit 16.000 Tonnen Verarbeitungskapazität in Betrieb und arbeiten an der weltweiten Lizenzierung der Technologie. Ebenfalls in Schwechat plant Borealis eine weitere Anlage für fortschrittliches Recycling, und wir werden noch in diesem Jahr die größte Elektrolyseanlage Österreichs fertigstellen, die pro Jahr 1.500 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren wird. Finanziell sind wir sehr stark aufgestellt, um in Wachstum zu investieren. Bis 2030 werden durchschnittlich 40 Prozent unserer Investitionen in nachhaltige Projekte fließen. All das zeigt, dass wir den eingeschlagenen Weg konsequent gehen.
Die geopolitischen Spannungen und der Klimawandel stellen die OMV mehr denn je in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Wie gehen Sie damit um?
Die Bedeutung von Energieversorgungsunternehmen hat eine völlig neue Dimension erreicht. Unsere Branche ist einer der zentralen Hebel für eine erfolgreiche Klimawende. Zugleich müssen wir – umso mehr infolge von Russlands Angriff auf die Ukraine – zu einer sicheren und leistbaren Energieversorgung beitragen. Wenn wir heute ein Unternehmen unter diesen Rahmenbedingungen grundlegend neu ausrichten wollen, müssen wir nicht nur einige, sondern alle Stakeholder:innen mitnehmen. Ob Eigentümer:innen, Kapitalmarkt, Beschaffungs- und Absatzmarkt, ob Mitarbeiter:innen, potenzielle Mitarbeiter:innen, Politik, Medien oder die breite Bevölkerung.
Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen führen zu hohen Gewinnen, die unter dem Schlagwort Übergewinne kontrovers diskutiert werden. Wie denken Sie darüber?
Das Geschäftsjahr 2022 war ein außerordentlich erfolgreiches und die erwirtschafteten Erträge müssen gezielt eingesetzt werden. Einerseits für eine sichere Energieversorgung in Zukunft, vor allem aber für eine nachhaltige und langfristig erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens. Das erfordert enorme Investitionen in Forschung, Entwicklung und innovative Produktionsverfahren. Natürlich wollen wir auch unsere Aktionär:innen am Erfolg des Unternehmens angemessen beteiligen. Deshalb werden wir mit 2,80 Euro der Hauptversammlung in diesem Jahr die höchste jemals von der OMV ausbezahlte reguläre Dividende vorschlagen, sowie zusätzlich eine Sonderdividende in Höhe von 2,25 Euro. Um eine adäquate Beteiligung auch langfristig gewährleisten zu können, haben wir unsere Dividendenpolitik modifiziert und zusätzlich das Instrument einer Sonderdividende eingeführt. Mit dieser angepassten Dividendenpolitik streben wir an zirka 20 bis 30 Prozent des Cashflows aus der Betriebstätigkeit inklusive der Net-Working-Capital-Effekte auszuschütten, wenn ausreichend Mittel vorhanden sind und der Leverage-Grad des Unternehmens unter 30 Prozent liegt.
Sie haben das „Chemicals & Materials“-Geschäft als den künftigen Wachstumsmotor der OMV bezeichnet. Was macht Sie da trotz des aktuell schwachen Marktes so sicher?
Der Markt wird wachsen, insbesondere aufgrund der wachsenden Zahl von Menschen, die in wirtschaftlichem Wohlstand leben. Zugleich müssen wir die schwindenden Ressourcen und die immer größer werdende Klimabedrohung im Auge behalten. Dazu wird unser C&M-Geschäft einen wichtigen Beitrag leisten. Durch die beschleunigte Entwicklung und Produktion von hochwertigen nachhaltigen Chemie- und Kunststoffprodukten, die Ressourcen schonen und die energetische Effizienz von Solarpaneelen, Windparks, Stromtransporten und Mobilitätslösungen steigern – um nur einige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus werden wir die Kompetenzen der OMV und von Borealis im Bereich des mechanischen und chemischen Recyclings von Kunststoffen nutzen, um eine führende Rolle in der globalen Kreislaufwirtschaft einzunehmen. Wir müssen es schaffen, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Das wird dazu beitragen, Emissionen zu senken und Abfälle zu reduzieren. Gesamt gesehen ist das ein enormes Marktpotenzial, das wir so gut wie möglich nutzen wollen.
Eine Strategie hat langfristige Ziele. Wie der Ukrainekrieg zeigt, treten aber immer wieder unvorhersehbare Ereignisse von großer Tragweite auf. Wie kann man da wissen, dass man immer auf dem richtigen Weg ist?
Das ist richtig. Man muss als Unternehmen auch kurzfristig auf Entwicklungen reagieren können. Eine ausgefeilte Strategie gibt dafür den nötigen Spielraum und die erforderliche Flexibilität. Die OMV Strategie hat sich diesbezüglich in den vergangenen zwölf Monaten bewährt. Zugleich dürfen wir aber das große Ziel nie aus den Augen verlieren und das ist und bleibt die gleichzeitige Bewältigung der Klimakrise und des weiterwachsenden Energie- und Ressourcenverbrauchs. Dazu braucht es neue Lösungen. Aus diesem Grund wird der langfristige Erfolg eines Unternehmens von seiner Fähigkeit abhängen, Nachhaltigkeit als Innovations- und Wachstumsmotor zu nutzen. Wir haben Nachhaltigkeit zum Ausgangspunkt und zum Kernstück unserer Strategie gemacht und damit den Grundstein für eine erfolgreiche Entwicklung gelegt.
Wien, am 9. März 2023
Alfred Stern e.h.