Ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden
„Transformation durch Innovation“
Ein Gespräch mit Alfred Stern, Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der OMV
Herr Stern, wir führen dieses Interview in schwierigen und traurigen Zeiten. Während wir hier miteinander sprechen, wird in der Ukraine Krieg geführt.
Das macht mich betroffen und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso. Der Krieg in der Ukraine ist eine tragische und bedrohliche Situation, die für viele Menschen großes Leid bedeutet. Unser tiefes Mitgefühl gilt allen Menschen, die direkt oder indirekt Opfer dieses Krieges sind. Wir lehnen jede Form der Gewalt und des Krieges ab und sind zutiefst überzeugt, dass es für Menschen Freiheit und Wohlstand nur im Frieden geben kann.
Die OMV hat seit langem geschäftliche Beziehungen zu Russland. Wie gehen Sie jetzt damit um?
Wir haben unser Russland-Engagement sorgfältig überdacht und dann die klare Entscheidung getroffen, dass Russland für die OMV ab sofort keine Kernregion mehr ist. Das bedeutet, dass wir in Zukunft in Russland keine Invesitionen mehr verfolgen werden. Aus diesem Grund haben wir auch alle Verhandlungen über eine mögliche Beteiligung an den Blöcken 4A/5A der Achimov-Formation des Urengoi-Erdgas- und Kondensatfelds sofort abgebrochen. Außerdem haben wir eine strategische Prüfung unserer bestehenden Beteiligung am westsibirischen Gasfeld Juschno Russkoje eingeleitet. Hier werden wir alle Optionen in Betracht ziehen, auch die eines Verkaufs oder eines Ausstiegs. Zudem nehmen wir für dieses Asset ebenso wie für unsere Forderungen gegenüber der Nordstream 2 AG eine Wertberichtigung vor.
Herr Stern, kommen wir zum Thema Weiterentwicklung und werfen wir einen Blick in die Zukunft. Der Auftrag an Unternehmen wie die OMV war von jeher die Versorgung mit Energie. Wie lautet der Auftrag an die OMV von morgen?
Die OMV wird sich weiterentwickeln, sie wird weiterwachsen und verfolgt dabei das klare Ziel, zu einem führenden Unternehmen für nachhaltige Kraftstoffe und Chemikalien sowie hochwertige Materialien zu werden. Das bedeutet, die OMV von morgen wird ein innovatives Unternehmen sein, das den Menschen die Ressourcen für ein modernes und besseres Leben durch Kreislaufwirtschaft zur Verfügung stellt. Und die OMV von übermorgen wird ein Unternehmen sein, dessen Treibhausgasemissionen netto null sind. Dieses Ziel haben wir uns spätestens für 2050 vorgenommen.
Anders gefragt: Wie lange könnte die OMV es sich leisten, ihr Geschäftsmodell unverändert beizubehalten?
Nach allen Kriterien der Vernunft keinen einzigen Tag. Auch wenn wir unser Geschäftsmodell nicht sofort radikal ändern können, müssen wir uns schon heute bewegen, und zwar in die richtige Richtung. Die neue OMV Strategie 2030 ist der erste Schritt in diese nachhaltigere Richtung. Wir werden diese zügig umsetzen, damit wir von den Chancen der Energie- und Nachhaltigkeitswende auch entsprechend stark profitieren können. Ich bin mir sicher, dass diese Transformation des Unternehmens von den Eigentümerinnen und Eigentümern, vom Kapitalmarkt, von den Kundinnen und Kunden und nicht zuletzt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern positiv aufgenommen werden wird.
Wenn Sie heute zuerst zurück- und dann nach vorne blicken – welche OMV sehen Sie?
Im Rückblick sehe ich ein erfolgreiches Unternehmen, das sich über viele Jahrzehnte im Markt sehr gut entwickelt und in der jüngsten Vergangenheit auch sehr gut auf die Zukunft vorbereitet hat. Im Blick nach vorne sehe ich ein innovatives Unternehmen, das die Wende zu mehr Nachhaltigkeit aktiv vorantreibt. Ich sehe eine OMV, die die für unseren Wohlstand und für ein besseres gemeinsames Leben unverzichtbaren Ressourcen und Produkte auf Basis der Kreislaufwirtschaft zur Verfügung stellt.
»Die OMV von morgen wird ein innovatives Unternehmen sein, das den Menschen die Ressourcen für ein modernes und besseres Leben durch Kreislaufwirtschaft zur Verfügung stellt.«
ALFRED STERN
Vorstandsvorsitzender
Sehr gut auf die Zukunft vorbereitet, heißt konkret?
Das abgelaufene Geschäftsjahr belegt, dass wir uns eine Position wirtschaftlicher und technologischer Stärke aufgebaut haben. Wir haben 2021 ein Rekordergebnis erwirtschaftet. Das haben wir einer erstklassigen Performance des Geschäftsbereichs Exploration & Production, einem stabilen Ergebnis in Refining & Marketing und vor allem starken Zuwächsen im Bereich Chemicals & Materials zu verdanken. Die Zahlen zeigen, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Darüber hinaus haben wir das im Zusammenhang mit der Borealis Akquisition angekündigte Devestitionsprogramm konsequent umgesetzt. Wir haben unsere Anteile an Gas Connect Austria, das E&P-Geschäft in Kasachstan, Ölfelder in Malaysia und unseren 25-Prozent-Anteil am Ölfeld Wisting in Norwegen erfolgreich veräußert. Damit und durch die Unterstützung unseres starken Ergebnisses konnten wir im vergangenen Jahr unseren Verschuldungsgrad auf 22 Prozent senken.
Und die technologische Stärke?
Deren Kern ist das umfangreiche Wissen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umgang mit Kohlenwasserstoffen, aber auch mit erneuerbaren Rohstoffen und Rezyklaten. Wir können entlang der gesamten Wertschöpfungskette die besten Lösungen finden, und das ist ein wesentliches Asset für die Zukunft. Zusätzlich, um nur einen Innovationsbereich zu nennen, haben die OMV und Borealis frühzeitig und mit Weitsicht begonnen, Erfahrungen im mechanischen und chemischen Recycling von Kunststoffen zu sammeln. Damit haben wir uns eine sehr gute Basis für eine künftig führende Position in der Kreislaufwirtschaft geschaffen, die in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen wird. Denn sie ermöglicht es, die Umwelt zu schützen und die Vorteile hochwertiger Kunststoffe weiterhin zu nutzen. Und genau das wird notwendig sein. Denn Kunststoffe sind gerade in der Energiewende unverzichtbar. Denken Sie nur an Hochleistungskabel, an Photovoltaikanlagen und Windräder sowie an Kondensatoren und Halbleiter – all das wäre ohne hochwertige Kunststoffe nicht möglich. Genau dafür bieten wir maßgeschneiderte Lösungen und haben eine weltweit führende technologische Position in diesem Bereich.
Wenn Sie die OMV des Jahres 2030 in einem Satz beschreiben, ist sie …
… eine führende Anbieterin von innovativen nachhaltigen Kraftstoffen, Chemikalien und Materialien, welche sich in Richtung „net zero“ entwickelt und die Energiewende als geschäftliche Chance für anhaltendes Wachstum nutzt. Insbesondere in den Bereichen nachhaltiger Treibstoffe und Chemikalien sowie hochqualitativer Materialien und in der Kreislaufwirtschaft können wir ein neues erfolgreiches Kapitel unserer Unternehmensgeschichte schreiben und als Vorbild für die Transformation der Branche gelten.
Die OMV hat sich aber auch eine Vision für das Jahr 2040 gegeben.
Ja, das ist richtig. Bis dahin wollen wir ein nachhaltiges, kreislaufwirtschaftliches Geschäftsmodell im Konzern etabliert haben. Und wir denken auch darüber hinaus. Bis 2050 wollen wir ein Unternehmen sein, das netto keine Treibhausgase emittiert. Das bedeutet auch, dass wir das Ziel verfolgen, bis 2050 kein Öl und Gas mehr als Energieträger zu produzieren.
Wie soll der Weg zur OMV des Jahres 2030 aussehen?
Naturgemäß wird er für alle unsere Geschäftsbereiche Veränderungen bedeuten. Im Bereich Exploration & Production müssen wir uns schrittweise in Richtung eines kohlenstoffärmeren Business bewegen. Das bedeutet, dass wir den Anteil von Erdgas – als Übergangsenergie – im Portfolio erhöhen, aber auch nachhaltige Energielösungen aufnehmen, bei denen wir unsere Kompetenzen und Assets nutzen können. Dazu zählen beispielsweise die Geothermie, aber auch Technologien zur Speicherung und Nutzung von CO2 oder anderen Gasen.
Die OMV verfügt heute über Raffinerien, die zu den modernsten und effizientesten in Europa zählen. Wohin soll deren Reise gehen?
Unser Motto lautet „Nachhaltige Kraftstoffe“. Im Geschäftsbereich Refining & Marketing werden wir zunächst verstärkt auf die Nutzung biogener Komponenten für Kraftstoffe und für chemische Rohstoffe setzen. Längerfristig werden wir uns auch mit synthetischen Kraft- und Rohstoffen beschäftigen. An unserem österreichischen Raffineriestandort Schwechat produzieren wir ab 2023 in einer Pilotanlage mit einem von uns selbst entwickelten Katalysator Propanol aus dem bisher ungenutzten Abfallprodukt Glycerin. Schon heute versorgen wir Großkunden mit EcoMotion Diesel, der dank erneuerbarer Komponenten Treibhausgasemissionen um 20 bis 25 Prozent reduziert. Gemeinsam mit Austrian Airlines werden wir durch nachhaltigen Flugzeugtreibstoff eine CO2-Reduktion von mehr als 80 Prozent erzielen. Das sind alles wesentliche Bausteine auf unserem Weg zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell.
Und im Bereich Chemicals & Materials?
Da werden wir am Standort Burghausen nach dem Ausbau der Cracker-Anlagen ab dem dritten Quartal 2022 zusätzliche Ethylen- und Propylenmengen für das Bayerische Chemiedreieck produzieren. In Burghausen sind wir bereits mit der neuen ISO-C4-Anlage erfolgreich, in der wir hochreines Isobuten für die Produktion von Klebstoffen und Vitamin C herstellen. Unsere belgische Propandehydrierungsanlage in Kallo, in die Borealis rund 1 Milliarde Euro investiert, wird im nächsten Jahr mit einer Kapazität von 750.000 Tonnen in Betrieb gehen.
Auch international sehen wir in Zukunft ein starkes Wachstum im Bereich Chemicals & Materials. In unserem USA-Joint-Venture Baystar plant Borealis zusammen mit TotalEnergies, noch in diesem Jahr die Polyethylenkapazität auf 1 Million Tonnen zu erhöhen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten konnten wir vor Kurzem die erfolgreiche Inbetriebnahme der fünften Polypropylenanlage verkünden. Mit „Borouge 4“, einem weiteren Projekt unserer Tochter Borealis mit unserem Partner ADNOC, werden Investitionen von 6,2 Milliarden Dollar in einen Polyolefin-Produktionskomplex mit einer jährlichen Kapazität von 1,4 Millionen Tonnen getätigt. Damit wollen wir ab Ende 2025 die wachsende Nachfrage in den Bereichen Energie, Infrastruktur und fortschrittliche Verpackungen im Mittleren Osten, Afrika und Asien bedienen.
Die Zukunft der OMV soll zu weiten Teilen in der Welt der Chemie liegen. Ist das realistisch?
Wir haben diesen Weg wohlüberlegt und bewusst eingeschlagen, und alles, was wir bisher sehen, bestätigt die Richtigkeit dieser Entscheidung. Es handelt sich um eine logische Erweiterung unserer Wertschöpfungskette und um die Möglichkeit, mit unseren gesamten Kompetenzen zur Gestaltung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft beizutragen. Wir werden geografisch expandieren und neue, attraktive Produkte in unser Portfolio aufnehmen. Wie sehr die OMV von den Entwicklungen am Chemiemarkt profitiert, wurde nicht zuletzt durch die jüngsten Ergebnisse deutlich.
Die Fabrik der Zukunft wird anders aussehen als eine chemische Fabrik heute. Sie wird Rohstoffe im Kreislauf führen und dafür eine Kombination aus verschiedenen Prozesstechnologien benötigen. Vieles davon wird eine Kombination von dem sein, was wir bereits heute tun – in unseren Raffinerien einerseits und in unseren chemischen Produktionsstätten andererseits. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass wir für die Zukunft gut aufgestellt sind und unsere Kompetenzen optimal zu unserem Vorteil nutzen können.
Die Wiederverwertung von Kunststoff steckt einerseits noch technologisch in den Kinderschuhen, andererseits könnte es zu einem zunehmenden Kampf um den Plastikmüll kommen. Wie wollen Sie das angehen?
Technologisch sind wir sowohl beim mechanischen als auch beim chemischen Recycling ganz vorne dabei, bis hin zu Themen wie „Design for Recycling“. Das frühe Interesse der OMV und von Borealis an diesem Thema gibt uns einen klaren Startvorteil, auch beim Zugang zum Kunststoffabfall. Dass wir nicht nachlassen dürfen, ist aber ebenso klar. Deshalb entwickeln wir die Technologien und Prozesse mit substanziellen Investitionen und gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern nachdrücklich weiter.
Im Bereich des chemischen Recyclings wird eine ReOil®-Demonstrationsanlage der OMV in der Raffinerie Schwechat ab 2023 pro Jahr 16.000 Tonnen Kunststoffabfall in wertvollen synthetischen Rohstoff für die chemische Industrie umwandeln. Die nächste Stufe wollen wir dann 2026 durch eine großtechnische und kommerziell tragfähige Anlage mit einer Verarbeitungskapazität von 200.000 Tonnen erreichen. Bereits heute produzieren wir rund 100.000 Tonnen an Kreislaufmaterialien und -chemikalien.
Laut Studien erreicht das Kunststoffkreislauf-Business bis Mitte dieses Jahrzehnts ein Marktpotenzial von 40 bis 60 Milliarden US-Dollar. Wird sich die OMV einen ordentlichen Anteil daran sichern?
Die Kreislaufwirtschaft ist eine der tragenden Säulen unseres künftigen Geschäftsmodells. Zu Beginn wird sie nur einen kleinen Anteil unserer Gesamtproduktion darstellen. Der tatsächliche Erfolg von Innovationen entscheidet sich aber naturgemäß erst in der Zukunft. Ich bin zuversichtlich, dass die OMV, wenn sich Markt und Rahmenbedingungen entsprechend entwickeln und wir zielgerichtet weitergehen, eine maßgebliche Rolle in der Rohstoffversorgung spielen kann und wird.
Was Sie beschreiben, ist die wohl einschneidendste Veränderung in der Geschichte der OMV. Wie wollen Sie diesen Wandel bewerkstelligen? Und was bedeutet er für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet das natürlich Veränderungen und Herausforderungen, aber auch viele Chancen zur Weiterentwicklung. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass sich die OMV in den letzten Jahrzehnten immer weiterentwickelt hat und immer offen für Fortschritt war. Wir werden die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen und Maßnahmen setzen, damit alle, die wollen, diese Chancen auch nützen können.
Lassen Sie mich hier nochmals auf unser Ergebnis des abgelaufenen Geschäftsjahres zurückkommen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dieses absolute Rekordergebnis unter nie dagewesenen Rahmenbedingungen erwirtschaftet. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben jede und jeden enorm belastet – und trotzdem wurde diese beeindruckende Performance gezeigt. Mit diesem Team kann man auch in Zukunft viel erreichen. Dafür habe ich mich schon bei vielen Gelegenheiten bedankt, möchte es hier aber nochmals tun.
Welche Faktoren werden über den künftigen Erfolg der OMV entscheiden?
Erfolg hat immer mehrere Faktoren. Dazu zählt mit Sicherheit auch die Finanzkraft des Unternehmens. Aber der entscheidendste Faktor ist Innovation. Und dazu brauchen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre Kreativität und ihre Offenheit dafür, in Veränderungen eine Chance für neue Geschäftsbereiche zu sehen.
Wien, am 9. März 2021
Alfred Stern e.h.